Dienstag, 10. Januar 2012

Warum dieser Blog?

 
Aus einem Katalog von 1936


 DDR-Gardinenleiste von einer ehemaligen Fahrkartenausgabe der Reichsbahn, etwa um 1960.

GEPLANT IST EINE UMFANGREICHE BILDDOKUMENTATION HIER MIT MEINEN AN-GESAMMELTEN LEISTEN! ...Aber das braucht noch viel Zeit!!!

Gardinenleisten sind das Stiefkind der Liebhaber historischen Designs und vergangener Stilepochen. Noch immer sind alte Gardinenleisten, sofern sie nicht aus Messing sind und älter als siebzig Jahre nur alte Gammelbretter und werden nicht beachtet. Dabei spiegelt sich in jeder alten Leiste ein Stück zeittypische Design- und Industriegeschichte wieder! Darum ist dieser Blog speziell gedacht für Sammler die sich authentisch einrichten wollen und allgemein für Freunde alter Möbel und Stilepochen natürlich. 

Vor etwa fünfzehn Jahren bezog ich meine erste Altbauwohnung und machte mich auf die Suche nach passenden alten Gardinenleisten. Ebay etc. gab es noch nicht und in den einschlägigen Trödelläden und bei bekannten Händlern bekam ich nur Kopfschütteln entgegengebracht. "Die werfen wir immer weg!"...  war und ist die gängige Antwort bis heute. Bei meiner damaligen Freundin auf dem Sperrmüll in Thüringen wurde ich jedoch schnell fündig und konnte so die ersten drei Exemplare für mich nach Hause mitnehmen. Irgendwie sprangen seitdem sie mir nach so langer vergeblicher Suche immer wieder ins Auge und ich konnte sie einfach nicht liegen lassen. Es wurden mehr und mehr, so dass sich bis heute etwa hundert Stück in meinem Keller stapeln!!! Später kamen noch alte Firmenprospekte dazu und einiges an Zubehör. 

Wenn ich mein lang gesuchtes Wochenendhäuschen endlich gefunden habe (und eingerichtet) wird der größte Teil nach einer fotografischen Dokumentation zur Disposition stehen und (so wünsche ich mir es jedenfalls) wenn möglich an ein Museum oder ähnliches abgegeben. Was ich auf jeden Fall nicht will, ist das sich die besten Exemplare die Leute wegschnappen und der Rest dann doch auf der Müllhalde landet! Naja, vielleicht baue ich aus dem Rest auch eine Skulptur?! Mal sehen...

Ihr werdet hier allerdings noch mehr als Fotos sehen! Texte und Beschreibungen werde ich versuchen in einen geschichtlichen Kontext zu setzen und auch auf manche Firmen näher eingehen, wobei der Schwerpunkt auf der DDR-Geschichte liegen wird.

Habt ein wenig Geduld und schaut öfter mal rein wenn Ihr Lust habt ;)


Ein Geräusch verschwindet!

Heutzutage ist es kaum mehr hörbar, dass Zuziehen der Vorhänge. Mit Schlaufengardinen wurde der hörbare Geräuschpegel endgültig aus der Stube verbannt und die heutigen Systeme aus Plaste und Styropor (ehrlich das gibt es, gefunden beim Googeln!!) verstecken sich verschämt an der Decke oder Protzen mit historisierenden Details, wobei jede historische Vorlage hoffnungslos vom Kitsch der Neuzeit assimiliert wird. Doch wo ist das klassische "nervende" Geräusch des Gleitens über die stählerne T-Schiene geblieben, die es später auch aus Plaste gab? Ein Nischenprodukt nur noch, doch über viele Jahrzehnte die bestmögliche Variante vieler Gardinenzugsysteme. Die Firma RILOGA, damals noch "Metallwaren-Fabriken Julius Schmidt, Remscheid-Dorfmühle" patentierte die RIngLOsGArnitur mit einer T-Schiene im Jahre 1926 und trat mit einem umfangreichen Sortiment in den folgenden Jahren den Siegeszug ins Wohnhaus an. In Italien wurde der Begriff RILOGA sogar zu einem Eigennamen für Gardinenschienen! Die in Westdeutschland bis in die 60er Jahre hergestellten (und etwa seit 1930 produzierten) Garnituren mit abgerundetem Blechrand sind eindeutig noch ein Kind des Bauhaus und wurden dort zum typischen Merkmal einer 50er und 60er Jahre-Wohnung. In der DDR hingegen ist mir bislang keine derartige Garnitur mit dieser klassischen Metallblende untergekommen.

Ach übrigens, wusstet Ihr eigentlich das diese Metallschienen mit ihrem klassischen T-Profil in der DDR auch gelegentlich für selbstgebaute Gartenbahnen hergehalten haben, da es soetwas wie LGB-Bahnen bei uns nicht gab!?
siehe:  http://www.youtube.com/watch?v=BKJgy1JRaCU

 RILOGA 1000 Garnitur, etwa 1930


 1935, als "Nachrüstsatz"


Nein, dass ist keine Werbung für eine Kranbahn in einem Stahlwerk, sondern für eine Gardinenschiene wie sie auch mit den zugehörigen Rollen in späteren Jahren von anderen Firmen produziert wurden, wie hier von der Berliner Metallwarenfabrik "Wilhelm Knaust"
im Jahre 1937!


Die gute alte Zeit!

Hier ein paar Bildbeispiele aus vergangenen Zeiten:

 Das Küchensofa zeigt das wir uns in Süddeutschland, genauer gesagt in Franken befinden. Gemütlicher geht es kaum noch könnte man meinen beim Betrachten dieser, um 1930 entstandenen Aufnahme! Man beachte den links neben der Uhr angebrachten Fliegenfänger ;) Welche Behaglichkeit vermittelt doch dieser Raum im Stile einfacher bäuerlicher Wohnkultur im Gegensatz zu den technisch durchgestylten Kochnischen unserer Tage...


Die folgenden Bilder zeigen eine bürgerliche Villa der 30er Jahre. Die damals schon betagten Biedermeiermöbel fügen sich harmonisch in den Raum mit ein. Neben den Tüllgardinen aus Baumwolle oder Naturseide passt auch die Tapete mit abgesetzten Leisten perfekt in das Zimmer.

Das Esszimmer stammt wohl aus den 20er Jahren, doch die Bilder an der Wand lassen eine genauere Eingrenzung des Aufnahmezeitpunktes auf die 30er Jahre zu. Links ist Hindenburg, der "Retter von Ostpreußen" abgebildet und hinter dem Blumenstrauß sein weltbekannter Nachfolger. Die Gardinenleisten sind hier mit Gold- oder Silberfarbe abgesetzt. Auf der linken Seite des linken Fensters erkennt man die runde Zugquaste.


In der Veranda sind verschiedene Gardinenleisten an den Fenstern platziert. Auf dem letzten Bild sieht man links unten die beiden tiefhängenden Zugquasten aus Porzellan. Die Tapetenleisten sind hier in Höhe der Fensterbretter angebracht und zusätzlich nach oben noch leicht farbig abgesetzt. Die Sitzgruppe ist wohl dem damals populären Stil des deutschen Heimatwerkes zuzuordnen, welches im Gegensatz zum damaligen Trend des formalistischen Bauhausdesigns die Schönheit der bäuerlichen Wohnkultur propagierte, aber auch politisch instrumentalisierte. Während es in anderen Ländern bis heute eine Art "Heimartwerk" gibt, ist es bei und fast vergessen. Wer nicht auf industrielle (internationale) Massenprodukte, sondern auf landestypische Schreinerarbeiten zurückgreifen will, ist gezwungen sich teuer bei einem Antiquitätenhändler einzurichten.


Ein Buchtipp:

"Funktioneller dekorativer Sonnenschutz -Gestern und Heute-" von Christina Melk-Haen und Bärbel Wulf. Trotz des etwas sperrigen Titels sehr empfehlenswert, erhältlich nur noch antiquarisch. Gerade geeignet für Leute wie mich, die sich gerne mit der Geschichte eher unbeachteter Themen auseinandersetzen. Denn das macht Geschichte erst lebendig, interessant und erlebbar finde ich... ;)


Ein wenig zur Geschichte:

Natürlich kann man nicht die Entwicklung der Vorhangstangen von denen der Vörhänge und Gardinen trennen, ich mach es aber trotzdem, da das Design und die Beschaffenheit von Gardinen sehr gut dokumentiert ist und den meisten Sammlern geläufig. Tatsache ist, dass sich bis zur Gründerzeit und der damit verbundenen Industrialisierung hier in Deutschland nur wohlhabende Menschen sich leisten konnten Stoff vor ihre Fenster zu hängen. Bekannt ist das seit dem Mittelalter, aber die ältesten Gobelins und Wandbehänge sind bereits in der Antike nachweisbar. Durch die schlagartige Industrialisierung jedoch nach dem gewonnenen Deutsch-Französischen Krieg im Jahre 1871 und der Reichsgründung setzten sich Vorhänge und Gardinen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nahezu flächendeckend auch in einfachen Ständen durch. Während der Gründerzeit entstanden die ersten wirklichen Innovationen auf dem Gebiet, aufwendige und gut durchdachte Zugvorrichtungen für Fenstervorhänge aller Art. In der erstan Hälfte des 20. Jahrhunderts finden wir diese Systeme, die erst durch das einfache T-Schienensystem  der Firma RILOGA mehr und mehr verdrängt wurden.


Vielfalt statt Ein(fach)heit!

Aus einem thüringer Möbelkatalog, herausgegeben um 1900 stammt diese Abbildung. Es zeigt alle gängigen Formen der Gründerjahre. Die Gardinenkästen, oder auch "Gal(l)erieleisten" waren schon zur Barockzeit bekannt und wurden über einen langen Zeitraum bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, nahezu unverändert gebaut. Meist waren sie aus Weichholz lackiert mit Bierlasur, oder auch gerne mit dunklem Schleiflack versehen wie die Bilderrahmen der damaligen Zeit. In manchen Fällen wurden sie auch analog den Möbelstücken aufwendig mit Eiche oder Nussbaum furniert, was jedoch nur für wohlhabende Haushalte gedacht war. Die Stangen waren ebenfalls aufwendig gearbeitet und verziert. Auch die hölzernen und verzierten Raffhalter, rechts oben im Bild sind interessant. 
Hier ein Beispiel eines schweren und mit Nussbaum furnierten Gardinenkastens. Eine Aufsatzbekrönung hatte dieses Teil übrigens nie gehabt.




Hier zwei Beispiele für aufwendig gedrechselte Gardinenstangen aus Nussbaum. Der Knauf in der Mitte verbirgt ein Gewinde zum Zusammenschrauben. Solch ein Pärchen und auch noch vollständig zu bekommen grenzt heute fast an ein Wunder, die Meisten sind im Laufe der Jahre gnadenlos an Ort und Stelle im Ofen verheizt worden. Zu Beachten ist aber generell, dass diese Objekte NUR für Übergardinen und Vorhänge gedacht waren, NIEMALS für Stores! Diese waren an solchen eisernen Systemen aufgehängt wie hier folgend abgebildet:


Aus einem Stuttgarter Musterbuch, herausgegeben um 1915 stammt dieses Bild. Deutlich zu erkennen ist der gegenläufige Zug für die Stores. Als Zugknauf dienen Porzellanquasten. Diese Systeme wurden noch unverändert bis in die 50er Jahre in beiden Teilen Deutschlands hergestellt.


Hier ein Raffhalter aus jener Zeit. Es gab sie in allen denkbaren Varianten, selbst mit Porzellanapplikationen wurden sie manchmal versehen. Auch hier gilt; Wer heute noch zwei Gleiche findet hat das große Los gezogen...


Ein häufiger Irrtum ist die Datierung von Messinggardinenstangen! Hier eine Abbildung eines Leipziger Kataloges aus dem Jahre 1936. Sie wurden unverändert seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ziemlich genau bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges hergestellt. Denn ab diesem Zeitpunkt wurde Messing für andere Zwecke benötigt...

Im Laufe der Zeit entwickelte sich ein unübersehbarer Markt mit den verschiedensten Systemen und viele davon sind heute längst vergessen.  Gardinenleisten wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zudem oftmals von örtlichen Tischlern und Schreinern hergestellt (in der DDR war das noch eine weitverbreitete Sitte bis 1989!) Deshalb kann ich hier auch nur wenige Beispiele aufzeigen um Euch nicht völlig zu langweilen!

Um diese angesprochene Vielfalt an Erzeugnissen einmal zu verdeutlichen folgen jetzt aus einem 1936 erschienenen Katalog der Metallwarenfabrik der Gebrüder Pampel in Neukirchen bei Crimmitschau eine Auflistung der angebotenen Gardineneisen. Es wurden von dieser Firma damals sieben!!! Seiten mit den verschiedensten Gardineneisen vertrieben! Alleine für so ein recht einfaches Objekt ist, betrachtet auf die Zahl der damaligen Firmen im deutschen Reich die solches Zubehör anboten, die Produktpalette einfach unüberschaubar!







Hier der Katalogauszug, es zeigt wie spezialisiert damals mittelständische Firmen jeden erdenklichen Bedarf selbst für solche einfachen Metallobjekte abdecken konnten.



Verschiedene Gardinenleisten aus den 30er Jahren. Interessant ist die obere Abbildung mit der ausziehbaren Leiste. Mir sind bislang nur zwei Exemplare untergekommen, einmal in einem Museum und ein anderes mal bei einem Freund der sie mir nicht abtreten will... :(






Diverse Katalogabbildungen verschiedener, geläufiger Stangen und Zugsysteme. 60 Jahre lang waren sie fast überall anzutreffen! Selbst massive Eisenstangen (ohne Abb.) wurden verwendet, erkennbar fast immer an der einseitigen Rundöse. Leider alles heutzutage nicht einmal mehr in Trödelläden zu finden...





Verschiedene Scheibengardinenstangen. Auch sie wurden ohne Änderung von der Gründerzeit bis in die 60er Jahre hinein gefertigt- Sie gab es aus Messing, Blech, weiß lackiert und hatten nicht so einen "billigen Touch" wie die heutigen mit Plasteanteil. Das untere Exemplar gibt es aber heute wieder zu kaufen für Nostalgiker! Im Original sind sie fast gar nicht zu finden.



Frühe U-Garnituren auf einer Werbetafel, etwa um 1930!



Auch schwer zu finden, weil sie fast immer weggeworfen wurden/werden! Schleuderstäbe und Schleuderschnüre aus einem Katalog der 30er Jahre. Sie sind fast immer mit Stoff umspannt und werden heute schon lange nicht mehr hergestellt! Zu DDR-Zeiten sahen sie dann etwas anders aus, dazu später mehr in der geplanten Bilddokumentation hier.

2 Kommentare:

  1. Bin auf der Suche nach genau diesem Thema und begeistert von dieser sachlichen und sehr anschaulichen Veröffentlichung. Vielen Dank! Das ist ein ganz phantastischer und keineswegs überflüssiger Blog: Im Gestern Wohnen und das Morgen Leben!

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  2. Hallo! :)
    Ich bin verdutzt und begeistert zu gleichen Teilen. ;)
    Ich habe mir noch nie wirklich Gedanken um den Verbleib der "Gardinenstange" von Früher gemacht und hätte auch nie geahnt, dass jemand dafür so viel Zeit verwendet, um zu sammeln, etc.
    Obwohl ich manchmal die alten Gardinenstangen auch schon vermisst habe.
    Ich bin gespannt wie es weiter geht und werde bestimmt immer wieder bei dir vorbeischauen.
    Vielen Dank für deine netten Zeilen bei mir.
    Ich wünsche dir und deiner Familie ein frohes Osterfest.
    Herzliche Grüße, Frau Vabelhaft

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